Montag, 6. November 2017

Think Limbic!

Hans-Georg Häusel unternimmt mit diesem Buch einen Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Abhandlung und Management-Ratgeber. Dieser Spagat ist nicht immer glücklich: Für Neurologen und Psychologen ist das Buch sicher zu populär gehalten, während der Laie an vielen theoretischen Erläuterungen vielleicht nicht so interessiert ist. Dass die Theorie der bestimmenden Rolle des limbischen Systems fundiert ist, mag man noch anerkennen. Die Argumentationslinie erscheint des öfteren aber arg dünn. Zum Beispiel dann, wenn konkurrierende Ansätze ganz einfach mit einem imperativen „Falsch!“ abgetan werden. Praktische Anwendungsmöglichkeiten sind über das gesamte Buch verteilt.

Das lernen wir

  1. warum das limbische System das eigentliche Machtzentrum in unserem Kopf ist,
  2. welche drei Instruktionen des limbischen Systems das menschliche Verhalten steuern,
  3. welche unterschiedlichen Persönlichkeitstypen sich daraus ableiten lassen und
  4. warum Sie mit Ihren Marketingbotschaften direkt das limbische System ansprechen sollten.

Take-aways

  1. Der wahre Herrscher in Ihrem Kopf ist das Reptilienhirn.
  2. Das Unbewusste übt mehr Macht auf Ihre Entscheidungen aus, als Sie denken.
  3. Überprüfen Sie Ihre eigenen Entscheidungen auf ihre limbische Bedeutung und setzen Sie Ihre Stärken bewusst ein.
  4. Nutzen Sie Strukturen wie den Herdentrieb-Mechanismus gezielt für sich aus.
  5. Verankern Sie Ihre Ziele mit einem limbischen Trick in allen Köpfen.
  6. Die klassischen Motivationstheorien haben ausgedient.
  7. Analysieren Sie die limbische Struktur Ihrer Mitarbeiter und motivieren Sie sie auf den Punkt genau.
  8. Gute Unternehmen haben eine gesunde Mischung verschiedener limbischer Typen.
  9. Limbische Produkte sprechen das Unterbewusstsein der Zielgruppe an und sichern sich so einen dauerhaften Platz in deren Kopf.
  10. Wer sein Geschäft nicht nach limbischen Gesichtspunkten positioniert, wird vergeblich auf Kundschaft warten.

Der Thronsturz des Grosshirns

Das eigentliche Machtzentrum im menschlichen Kopf ist nicht das Neokortex, sondern das entwicklungsgeschichtlich weit ältere limbische System. Dieser Gehirnbereich steuert uns unbewusst mittels Gefühlen. über 70 Prozent aller Entscheidungen, die Sie jeden Tag treffen, erfolgen aufgrund dieser unbewussten Steuerung.

Auch der „vernünftige“ Neokortex (die Grosshirnrinde) gehorcht den Gesetzen des so genannten Reptilienhirns. Die Supermacht in unserem Kopf hat schliesslich auch die älteren Rechte, sie ist ungefähr 300 Millionen Jahre alt, der Newcomer Neokortex bringt es dagegen gerade mal auf 500 000 Jahre. 

„Die limbischen Instruktionen treiben uns an, steuern unser Verhalten, prägen unser Denken und sind schliesslich die tragenden Säulen unseres Charakters und unserer Persönlichkeit.“
Die Macht des Unbewussten

Neben den Vital-Bedürfnissen Schlaf, Atmung, Essen, Trinken und Sexualität steuern drei limbische Instruktionen das menschliche Verhalten: Balance, Dominanz und Stimulanz. Das Programm, das sich in den Milliarden Jahren der Evolution gebildet hat, wirkt auch heute noch. Die Erfüllung der limbischen Instruktionen gibt unseren Genen die grössten Chancen im evolutionären Wettkampf. Dieses Kräftesystem bestimmt nicht nur Ihr eigenes Leben, sondern prägt auch jede Gruppe und Organisation.

„Diesen Einfluss der Gefühle bemerken wir übrigens genauso wenig, wie wir im Alltag den Einfluss der Schwerkraft beachten.“

Alle von aussen kommenden Reize werden im Reptilienhirn auf ihre Bedeutung für uns analysiert. Erst durch diese Bewertung erhält die Welt für uns ihren Sinn und ihre Bedeutung. Wenn Sie sich dieser Steuerung bewusst sind, dann können Sie Ihre Entscheidungen auf ihre limbische Bedeutung analysieren und so schwierige Situationen besser beherrschen. Auch bei der Beurteilung Ihrer Mitarbeiter haben Sie so einen entscheidenden Vorteil.

Balance – Kraft der Beharrung und Erhaltung

Bei jeder Neuerung, die Sie einführen wollen, werden Sie es merken – die Menschen neigen dazu, am Gewohnten festzuhalten, und stehen Neuem vielfach ablehnend gegenüber. Die Ursache dafür sind nicht Ignoranz oder Faulheit, sondern die mächtigste limbische Instruktion: die Balance-Instruktion. Auch wenn deren Folgen Sie schon oft haben verzweifeln lassen, so ist diese Instruktion doch unverzichtbar. Auf ihr basieren das Gesundheitswesen und die Religionen und ohne sie hätte sich die Menschheit wahrscheinlich schon selbst vernichtet.

„Lust ist das zentrale Belohnungsprinzip des menschlichen Organismus, mit der die Erfüllung aller Vitaltriebe, aber auch die der limbischen Instruktionen belohnt werden.“

Um ein abgespeichertes Schema im Kopf zu überschreiben, ist viel Geduld erforderlich. Bei grösseren Veränderungen in Ihrem Unternehmen planen Sie mindestens 60 Prozent der Mittel für einen Mentalitätswechsel der Mitarbeiter ein. Versuchen Sie es nicht mit dem Dampfhammer! Viele kleine Schritte werden vom Unterbewusstsein eher toleriert. Je älter ein Mensch ist, umso weniger ist er offen für Veränderungen. Prüfen Sie sich selbstkritisch und halten Sie Ihren Kopf genauso fit wie Ihren Körper. 

„Von einem Politiker/Manager zu erwarten, dass er die Chance zur Machterweiterung nicht nutzt, selbst wenn dies illegal ist, ist ungefähr so, wie wenn man einen heisshungrigen Menschen tagelang in ein unbewachtes Feinkostgeschäft einschliesst und nachher empört ist, wenn er seinen Hunger ohne zu bezahlen gestillt hat.“

Dominanz – Kraft des Wachstums und der Zerstörung

Obwohl der innere Drang nach Macht gern ignoriert oder moralisch verurteilt wird, ist er doch die Kraft, auf der letztlich der Erfolg eines Unternehmens beruht. Im Laufe der Evolution wurden in unserem Reptilienhirn viele Mechanismen gespeichert, die den Unternehmensalltag erheblich beeinflussen. Diese Instruktion ist bei Männern wesentlich stärker ausgeprägt als bei Frauen. Aber Vorsicht, unterschätzen Sie niemanden – es gibt immer Ausnahmen! Das Machtstreben begrenzt auch die Möglichkeiten von Teamarbeit.

Der Drang an die Spitze führt zu Höchstleistungen in Sport, Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch zu verheerenden Kriegen. Auch hier ist ein prüfender Blick in den Spiegel also angebracht. Wer als „Hordenchef“ akzeptiert ist, dient gleichzeitig auch als Leitbild. Ihre Mitarbeiter richten sich nach Ihren Taten, nicht nach Ihren Worten! Teilen Sie die Beute, das schafft Loyalität. Vorsicht ist geboten bei Profit-Centern und ähnlichen ausgegliederten Einheiten. Die Inhaber dieser autonomen Fürstentümer entwickeln oft ein gefährliches Separationspotenzial. 

„Fortschritt und Zerstörung sind untrennbar miteinander verbunden, denn sie werden von derselben Kraft im Menschen erzeugt.“

Stimulanz – Kraft der Innovation und der Kreativität

Schon vor einigen Milliarden Jahren waren die besonders neugierigen Bakterien genetisch erfolgreicher. Daraus ist dem Menschen die dritte limbische Kraft erwachsen: Die Stimulanz-Instruktion. Ohne sie würden die Unterhaltungs- und die Tourismusindustrie heute brachliegen. Die Suche nach unbekannten Reizen ist der Motor jeder Innovation und Gegenspieler der Balance-Instruktion. Im Zusammenspiel mit der Dominanz-Instruktion werden gezielt Risiken eingegangen, um den Drang nach neuen Reizen zu befriedigen. Ohne die Neugier hätte die Balance die Menschheit schon mit „multipler Organisationssklerose“ verknöchern lassen – eine Krankheit, die in vielen Unternehmen anzutreffen ist. Hier ist nur zu raten: Lachen Sie Ihr Unternehmen gesund! Spass und Lust sind keine Kräfte des Teufels und Vorboten der Anarchie, sondern Triebfedern der Innovation. 

„Bei der Gestaltung von Transformations-Prozessen werden enorme Summen in harte Faktoren wie Maschinen und Computer gesteckt, die Investition in den Faktor Mensch wird dagegen oft sträflich vernachlässigt.“

Das limbische Profil prägt die Persönlichkeit

Die drei limbischen Instruktionen sind die tragenden Säulen der menschlichen Persönlichkeit. Die Stärke der einzelnen Faktoren entscheidet über den individuellen Charakter. Insgesamt gibt es acht limbische Typen von denen einige für ein Unternehmen besonders interessant sind:

Der Unternehmer-Typ wird von einer hohen Dominanz-Instruktion angetrieben. Der Drang zur Macht und ein energischer Durchsetzungswillen sind unabdingbar, um im harten Konkurrenzkampf zu bestehen. Auch die Stimulanz-Instruktion ist stark ausgeprägt. Sie schafft ein Gespür für den Markt und die Bereitschaft, risikoreiche Wege zu gehen. Die Balance-Instruktion hingegen ist relativ niedrig. Fehlt sie allerdings fast völlig, wird es gefährlich, weil dann alle Risiken negiert werden und keinerlei Vorsicht mehr existiert. Ein Unternehmer-Typ an der richtigen Stelle kann Ihre Firma schnell voranbringen, allerdings auch an Ihrem Stuhl sägen.

„Das Management sollte ein Klima und eine Kultur schaffen, die die Lust am Neuen fördern und belohnen.“

Der Technokrat-Typ ist in fast jeder Führungsetage zu finden. Seine geringe Stimulanz-Ausprägung unterscheidet ihn vom Unternehmer. Er ist rigoros und konsequent und setzt alle Vorhaben auch gegen harte Widerstände durch. Skrupel und Angst kennt er nicht. Seine Fähigkeit, neue Wege zu gehen, ist gering. Wenn der Technokrat das Unternehmen zu sehr bestimmt, läuft es Gefahr, seine Innovativität und Kreativität zu verlieren. Ein erfolgreiches Unternehmen braucht beide Manager-Typen.

„Jede Innovation entsteht nämlich durch den Ausbruch aus Gewohntem und die Suche nach Neuem.“

Beim Stress-Typ sind Balance- und Dominanz-Instruktion gleichermassen stark ausgeprägt. Er kontrolliert seine Mitarbeiter mit zwanghafter Pedanterie und schiebt Entscheidungen vor sich her. Entweder vermeidet er jeden Konflikt oder reagiert mit einem unkontrollierten Amoklauf. In einem Zwölf-Stunden-Arbeitstag schafft ein Stress-Typ weniger als ein Unternehmer oder Technokrat in acht Stunden. Magengeschwüre und Herz-Kreislauf-Probleme sind die Begleiter seines Erfolgs.

Der Exzentriker-Typ ist nicht nur im kulturellen Bereich zu finden. Bei ihm sind alle drei limbischen Instruktionen extrem stark ausgeprägt. Zwar reagiert er mitunter cholerisch und ist stark stimmungsabhängig. In Ihrer Marketing-, Design- oder Forschungsabteilung kann er aber wahre Wunder vollbringen. Eine überdurchschnittliche Intelligenz ist für kreative Höchstleistungen aber Voraussetzung.

„Qualifizierte und vor allem motivierte Mitarbeiter sind, darüber besteht heute kein Zweifel mehr, das A und O des Unternehmenserfolgs.“

Der Lebenskünstler-Typ hat eine hohe Stimulanz-Instruktion und ist damit offen für neue Ideen und meist kontaktstark. Er strebt nicht nach Macht, ist bei allen Kollegen beliebt und in jedem Team ein gern gesehenes Mitglied. Grössere Eigeninitiative können Sie von ihm allerdings nicht erwarten.

„Schnecken können, wenn man sie richtig motiviert, zwar zu Renn-Schnecken werden, Raketen werden aber nicht daraus.“

Der Beliebte-Typ ist ähnlich veranlagt wie der Lebenskünstler. Durch seine höhere Balance-Instruktion reagiert er aber ängstlicher und sensibler. Zwar hat der Beliebte auch gute Ideen, er scheut sich aber, sie zu äussern oder gar durchzuboxen.

Der ängstliche-Typ wird ausschliesslich durch eine hohe Balance-Instruktion bestimmt. Geringe Neugier und permanente Angst lassen ihn die Welt durchweg pessimistisch sehen. Mitarbeiter mit dieser limbischen Struktur sind extrem verletzlich, arbeiten nicht effizient und sind stets überfordert.

„Geld motiviert!“
Der Phlegmatiker-Typ schliesslich ist durch nichts zu bewegen oder zu motivieren. Da bei ihm keine limbische Instruktion stark vorhanden ist, kennt er weder Neugier noch Angst oder gar den Willen zur Macht. 

„Setzen Sie Angst nur dann ein, wenn es Ihrem Unternehmen wirklich schlecht geht.

Das erfolgreichste Unternehmen aller Zeiten

über eine Milliarde Kunden, rund fünf Millionen Filialen, mehr als zehn Millionen Mitarbeiter und ein wahrhaft biblisches Unternehmensalter – bei den Kennzahlen der katholischen Kirche sehen selbst Riesen wie Microsoft und Coca-Cola blass aus. Mit dem Produkt der Ewigkeit konnte ein Erfahrungsschatz gesammelt werden, den kein anderes Unternehmen vorzuweisen hat. Die Kirche liefert das Schema einer limbischen Unternehmenskultur.

Eine gemeinsame Vision lenkt die Kraft einer Gruppe auf ein faszinierendes Ziel. Ein charismatischer Führer gibt Halt und Orientierung und dient als treibende Kraft. Die inneren Kräfte werden durch ein starkes Feindbild mobilisiert und nach aussen gelenkt. Zusätzlich stärkt ein gemeinsamer Feind den Zusammenhalt in der Gruppe. Ein Aura der Einzigartigkeit gibt das Gefühl des Stolzes und der überlegenheit. Vergessen Sie nie zu unterstreichen, wie wichtig jeder Einzelne ist, ohne dabei das Primat der Gruppe in Frage zu stellen.

„Ohne eine starke Führungspersönlichkeit kann sich auf Dauer keine stabile Gruppe bilden.“
Mit Mythen werden die magischen Kräfte aus der Vergangenheit beschworen und eine starke Gruppen-Identität geschaffen. Die Mission formuliert die Anweisung, wie das Ziel zu erreichen ist, und rechtfertigt diese. Im Kodex werden die verbindenden und verbindlichen Werte festgeschrieben. Mit ihm schaffen Sie ein wirkungsvolles Wertesystem. Rituale und Symbole erzeugen ebenfalls ein starkes Gruppengefühl, haben aber eine zehnmal höhere Kommunikationswirkung, da sie durch sprachfreie Signale übermittelt werden. Diese Botschaften wirken direkt auf das limbische System. Ihr Einfluss erfolgt deshalb weitgehend unbewusst. 

Starke Marken und limbische Produkte

Nur Botschaften, die direkt das Reptilienhirn ansprechen, sind beim Verbraucher permanent unbewusst präsent. Bevor Sie Ihre Werbung starten, untersuchen Sie zuerst das limbische Profil Ihrer Zielgruppe. Ein potenzieller Kunde mit starker Dominanz-Instruktion wird sich von einem Zugewinn an Macht eher beeindrucken lassen als von dem Appell an sein Mitleid.

Um Ihre Botschaft zu übermitteln, müssen Sie mit unkonventionellen Bildern zuerst Aufmerksamkeit schaffen. Sprechen Sie dann mit einer klaren Sprache und einfachen Bildern direkt die limbischen Funktionen an. Abstraktionen, die mühsam entschlüsselt werden müssen, sollten Sie vermeiden.

Geben Sie jeder Marke eine Persönlichkeit, zu der man Vertrauen und Sympathie aufbaut. Wenn Sie eine neue Version eines bewährten Produktes auf den Markt bringen, gehen Sie vorsichtig mit Design-Veränderungen um. Das alte Modell ist als Idealform abgespeichert, variieren Sie diese um höchstens 10 bis 15 Prozent. Verschlafen Sie aber andererseits keine Entwicklung! Denn Sieger kaufen lieber bei Siegern.

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